Gaël Faye: Kleines Land

Gaby wächst als Sohn eines Franzosen und einer Ruanderin, einer Tutsi, in Burundi auf. Er verlebt eine glückliche Kindheit, verbringt seine Freizeit mit Freunden in der Sackgasse, in der sie alle wohnen. Gemeinsam schippern sie in selbstgebauten Booten aus Bananenstauden den Fluss Muhe herunter und Gaby verliebt sich in seine Brieffreundin aus Frankreich, der er regelmäßig – für den Leser witzige – Briefe schreibt. Es ist eine Kindheit voller Abenteuer, die so lange andauert, bis die Unruhen, die sich im Nachbarland bis zum Genozid auswachsen, von dort nach Burundi überschwappen. Einzug halten Straßengangs, brennende Autos, Leichen, Angst. Mauern ersetzen Bougainvillea. Das Wort „Kakerlaken“ kursiert, ein verächtlicher Ausdruck für die Tutsi, die Opfer jenes Völkermordes, dem die Welt seinerzeit tatenlos zuschaute.
Auch Gabys Freunde verändern sich; er entfremdet sich, denn im Gegensatz zu ihnen liegt ihm nicht daran, die Welt in Gut und Böse einzuteilen, in Hutu und Tutsi. Sie jedoch radikalisieren sich mehr und mehr. Zum endgültigen Bruch der Kindheit kommt es, als Gabys Mutter ihre Familie im Genozid verliert, in Ruanda ihre Leichen aufliest und Dinge sieht, die ihren Verstand, ihren Geist übersteigern.
Gaël Faye selbst ist in Burundi aufgewachsen. Er schildert all die Ereignisse, die Schönen und die Brutalen, in einer zum Teil bildhaften Sprache, ohne dabei ins Kitschige abzugleiten. Es ist, als könne der Protagonist, der sich mehr zu den Büchern der Nachbarin als zu Granaten und Kalaschnikows hingezogen fühlt, die Grausamkeiten, die er wie beiläufig erlebt, nur durch eine solche Sprache ertragen; sie umschließt seine Seele wie zum Schutz vor Abstumpfung und Kälte.

Nicholas Drayson: Kleine Vogelkunde Ostafrikas

Bürgerkriege, Armut, Hunger, Kinderarbeit, ethnische Konflikte, Korruption, Überbevölkerung, mit Schlagworten wie diesen wird Afrika oft in Verbindung gebracht. Auf der Guthaben-Seite gibt es die Safaris mit ihren romantischen Sonnenuntergängen und luxuriösen Lodges. Doch selbst dieses Thema hat eine unerfreuliche Seite: Die afrikanische Fauna ist bedroht, Wilderer treiben ihr Unwesen, Touristen knallen Löwen ab und ergötzen sich an ihren Trophäen.

Diese Stichworte hier nur im Brainstorming-Modus. Themen, die in Artikeln und Romanen verarbeitet werden - zurecht.

Und inmitten dieser dramatischen Materie das:

Ein unaufgeregtes Buch, in dessen Zentrum die heimliche Liebe eines eher unscheinbaren, aber äußerst integeren Kenianers indischer Abstammung zu Rose steht sowie seine Leidenschaft, die Ornithologie. Letzteres wird auch zum Inhalt einer Wette, die der Protagonist mit seinem Konkurrenten Harry Khan abschließt, einem Draufgänger, der ebenfalls Interesse an der Dame zeigt.

Dabei bedeutet „unaufgeregt“ keinesfalls „langweilig“, im Gegenteil. Unbedingt will man als Leser erfahren, wie sich die Geschichte fortsetzt, wie die Wette, die Mr. Malik mit seinem unliebsamen ehemaligen Schulkameraden abgeschlossen hat, den er nach vielen Jahren zufällig wieder getroffen hat, ausgeht.

Wird er die Frau seiner Träume am Ende zum Tanzball einladen dürfen? Oder sein Jugendfeind Herr Khan? Dabei hat Mr. Malik mit überraschend auftauchenden Widrigkeiten zu kämpfen und auch sein Rivale gibt sein Bestes, seinen Widersacher per Wettgewinn aus dem Weg zu räumen.

Die ganze Handlung sowie die Erzählweise sind derart antiquiert-britisch, dass man sich während des Lesens in vergangene Kolonialzeiten versetzt fühlt. Aber die Geschichte spielt heute.

Gute Unterhaltung in einer schön und charmant geschriebenen Sprache.